Der Lehrermangel trifft Deutschland härter als gedacht

Die Bildungsgewerkschaft VBE veröffentlichte vor kurzem ein Gutachten darüber, wie viele Lehrkräfte fehlen. Die Prognose ist düster – im Jahr 2030 sollen ca. 81.000 Lehrkräfte fehlen. Diese Zahl ist um einiges höher als die Annahmen der Kultusminister.

Schon die veröffentlichten Zahlen der Kultusministerkonferenz waren nicht gerade ermutigend. Nach Berechnung der Bildungsminister sind es etwa 20.000 Lehrkräfte, die 2025 fehlen und noch 14.000 im Jahr 2030 – so steht es in den Untersuchungen zum „Lehrereinstellungsbedarf und -angebot in der Bundesrepublik Deutschland“, von Dezember 2020.

In einer Untersuchung des Verbands Bildung und Erziehung VBE, unter Leitung des Bildungsforschers Klaus Klemm, ist dieses Szenario aber noch weitaus untertrieben. In dieser Studie sind es 45.000 fehlende Lehrkräfte im Jahr 2025 und 81.000 im Jahr 2030. Der VBE begründet die Zahlen mit steigender Schülerzahl und Pensionswellen bei Lehrern.

Der Grund für die abweichenden Annahmen seien nicht etwa die Prognose von Schülerzahlen oder der Lehrkräftebedarf. Viel mehr sind ist es Behauptungen der Kultusminister über den Einstellungsbedarf von neuen Lehrern, die grundsätzlich belastbar sind.

Laut Klaus Klemm unterschätzen die Kultusminister das Problem des Nachwuchsmangels. Klemm ist sich sicher: Die Prognosen der Minister seien „in hohem Maße unseriös“. „Sie sind durch die neuere Entwicklung bei den Zahlen der Lehramtsstudierenden ebenso wenig gedeckt wie durch die Zahl der Studienberechtigten, die in den nächsten Jahren die Schulen verlassen werden.“

Die Kultusminister gehen von einem Angebot von 349.000 neu ausgebildeten Lehrern aus, Klaus Klemm und der VBE nur von 286.000 neuen Lehrkräften. „Selbst, wenn es gelingen würde, den Anteil der Studienanfängerinnen und –anfänger, die ein Lehramt anstreben, schon 2022 deutlich zu erhöhen, würde sich dies erst am Ende der 20er-Jahre in einer Erhöhung des Neuangebots ausgebildeter Lehrkräfte niederschlagen.“

Die MINT-Fächer sind bedroht

Vor allem in Bereichen der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) schätzt Experte Klemm die Lage prekär ein. Der Mangel an Neuzugängen werde hier ein „dramatisches Ausmaß annehmen“. „Eine Analyse für Nordrhein-Westfalen, die auf die übrigen Bundesländer tendenziell übertragbar ist, hat gezeigt, dass 2030 nur für ein Drittel der Stellen für MINT-Lehrkräfte, die dann neu besetzt werden müssen, neu ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer verfügbar sein werden.“, so Bildungsforscher Klemm. Zusätzlich kritisiert er, dass die Berechnungen der Kultusminister bereits beschlossene Maßnahmen wie Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung und Inklusion nicht berücksichtigen – für diese Maßnahmen muss nämlich mit einem Zusatzbedarf von ca. 69.000 Lehrstellen gerechnet werden.

„Der Lehrkräftemangel ist das derzeit größte Problem im Schulbereich und stellt eine massive Bedrohung für Bildungsqualität, -gerechtigkeit und die Zukunft unseres Landes dar“, so Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des VBE. So beschreibt der die Prognose der Kultusminister als „riesige Mogelpackung“. Ohne die Bereitstellung der erforderlichen Lehrkräfte können Herausforderungen wie Inklusion, Integration, Digitalisierung und die Corona-Pandemie kaum bestritten werden.

Unter den derzeitigen schulischen Bedingungen ist die individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern nicht möglich. Das gesamte Bildungssystem insbesondere im Grundschulbereich sei „massiv unterfinanziert“. Beckmann fordert eine bundesweite Fachkräfteoffensive – „Es braucht eine Erhöhung der Studienplätze bei gleichzeitiger Verbesserung der Studienbedingungen und der Studienbegleitung.“ Zudem muss die Attraktivität des Berufsbildes durch die gleiche Bezahlung unabhängig von Schulform gesteigert werden.

„Die Politik muss umgehend und vollumfänglich die dringend notwendigen Konsequenzen aus den vorliegenden Erkenntnissen ableiten und endlich aufhören, sich den tatsächlichen Lehrkräftebedarf schönzurechnen“, so Beckmann. Das von der Ampel-Koalition versprochene Jahrzehnt der Bildungschancen wird sonst „ein Jahrzehnt der Bildungsverlierer“