Tariftreue in der Pflege: Löhne und Kosten steigen

Seit heute sind Pflegeheime bundesweit dazu verpflichtet, nach Tarif zu bezahlen. Dadurch steigen für viele Beschäftigte die Löhne – doch die Kostensprünge für Pflegebedürftige sind teilweise enorm.

 

Matthias Berend betreut als ehrenamtlicher Bevollmächtigter eine Bekannte in einem Pflegeheim im Westen von Rheinland-Pfalz. Er erhielt am 28. Juli einen Brief, dessen Inhalt er kaum glauben konnte. Im Schreiben wurde ihm eine Erhöhung des zu zahlenden Pflegesatzes zum 1. September angekündigt. Um 37,54 Prozent wurde der Pflegesatz korrigiert.

 

Tariftreueregelung

Grund für das Schreiben soll eine sogenannte Tariftreueregelung gewesen sein. Diese gilt ab 1. September und sieht vor, dass Pflegedienste und -heime, die bislang nicht nach Tarifverträgen bezahlt haben, ihre Löhne entsprechend anheben müssen. Veranlasst habe die Regelung noch die alte Bundesregierung, die die Verordnung 2021 durchsetzte.

„Die Löhne der Pflegekräfte in den Heimen steigen erheblich, und das ist gewollt“, erklärt der amtierende Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Das sei ein verspäteter Dank für alle Pflegekräfte und ein gutes Zeichen an alle, die diesen Beruf ausüben wollen. „Die Gesellschaft muss diese Leistung besser honorieren“, so Lauterbach.

Die Entscheidung Tariflöhne einzuführen, sei ein wichtiges Instrument, um den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten, sagt Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK). Unter anderem muss „die Refinanzierung gewährleistet sein, denn diese darf nicht allein den Menschen mit Pflegebedarf aufgebürdet werden“, weil Pflegekassen nur einen Teil der Pflegekosten übernehmen und erhöhen auch ihre „Leistungszuschläge“ zu den Eigenanteilen nicht.

 

Zuschläge für Kassen verschwimmen

Entsprechend groß sei die Nachfrage bei den Verbraucherzentralen. „Normalerweise spielt das Thema Entgelterhöhung keine so große Rolle“, sagt Sabine Strüder, Fachbereichsleiterin Gesundheit und Pflege der Verbraucherzentrale in Rheinland-Pfalz. Laut ihr häufen sich die Anfragen bzw. die Beschwerden – und das zeigt auch der bundesweite Blick. Die seit Anfang des Jahres gezahlten Zuschläge der Kassen verschwimmen größtenteils angesichts der Kostensteigerung im Bereich der Pflege. Hintergrund dafür sei gewesen, dass die Pflegeversicherung als Teilkaskoversicherung angelegt ist. Die Eigenanteil-Zuschläge der Kassen bleiben bislang unverändert: rund fünf Prozent der Pflegekosten im ersten Jahr und bis zu 70 Prozent vom dritten Jahr im Heim an. Dem Verband zufolge können Daten belegen, dass die Zuschläge in den ersten Pflegejahren schnell durch steigende Eigenanteile zunichte gemacht werden. Im Durchschnitt belaufen sich diese in den ersten zwei Jahren auf mehr als 2000 Euro, die Pflegebedürftige aus eigener Tasche zahlen müssen.

 

Warnungen vor Kostenexplosion

Vor allem Sozialverbände, aber auch Politiker sehen deswegen einen dringenden Handlungsbedarf. Daniela Behrens, die niedersächsische Sozial- und Gesundheitsministerin, warnte deshalb vor kurzem vor einer Kostenexplosion. Gemeinsam mit weiteren Ländern möchte Niedersachsen den Bund dazu auffordern, Pflegebedürftige zu entlasten. Der Sozialverband VdK wählt dabei sogar noch drastischere Worte: Laut dem Verband könnte der 1. September zum „Doomsday“ werden. Das heißt, dass die Kritik an der Regelung immens ist und sich auch private Heimbetreiber um die Refinanzierung sorgen. Selbst wenn am Ende die Pflegebedürftigen die Kosten tragen, müssen Heimbetreiber zunächst mit Pflegekassen und Sozialhilfeträgern verhandeln.

 

Folgen für Sozialämter

Auch auf die Kreise und Kommunen wird ab dem 1. September eine deutliche Kostenwelle zukommen. Im Bedarfsfall, dass ein Bedürftiger oder dessen Angehörige die Pflege nicht mehr bezahlen können, springen die Sozialämter ein. „Wir erwarten, dass einige vom Selbstzahler zum Sozialfall werden“, betont Heimleiter Benedikt Queins. Sozialverbände und Verbraucherzentralen zeigen sich skeptisch und befürchten das ebenfalls.

Auch beim bekannten Fall von Matthias Berend übernimmt das Sozialamt die Kosten. Oftmals übersteigen die Kosten wie in seinem Fall, deren „schmale Rente“ deutlich.