Ein Jahr nach Anschlag in Hanau: Behörden-Versäumnisse und Anklage gegen Vater des Täters

Am 19. Februar jährt sich der rassistisch motivierte Anschlag von Hanau. Bei dem Attentat wurden neun Menschen in der Innenstadt erschossen, in und vor einer Shisha-Bar, einem Kiosk und einer Bar. Kurz danach erschoss der Täter Tobias Rathjen seine Mutter und sich selbst. Die neun Menschen, die er in der hessischen Stadt erschoss, hatten alle einen Migrationshintergrund, weswegen die Tat als rassistisch und rechtsextrem motiviert beschrieben werden muss.

Ein Jahr nach dem Anschlag wird die Aufarbeitung des Falls von Angehörigen stark kritisiert. Auch die Bundeskonferenz der Migrationsorganisationen (BKMO) hat sich dazu geäußert: „In der Bundesrepublik leiden wir unter einem selektiven Gedächtnis, was Leid von gesamten Menschengruppen anbelangt.“ Viele Fragen zu dem Attentat sind noch ungeklärt: „Fragen wie: Hätte man den Täter stoppen können? Was ist in der Tatnacht passiert? Was ist danach passiert? Warum hat man uns am Tag der Tat hingehalten? Warum hat man uns nicht gesagt, wo mein Bruder ist? Warum wussten wir eine Woche nicht wo mein Bruder ist?“, so Ajla Kurtović, die Schwester von Hamza Kurtović, der beim Attentat getötet wurde. All diese Themen wurden bereits am 14. Februar in einer Videokonferenz mit einigen Betroffenen und der „Initiative 19. Februar“ besprochen. Dort erklärte Newroz Duman, eine Unterstützerin der Initiative, dass die Behörden bei der Aufklärung versagt hätten und erachtet dies als „unverzeihlich“. Weiterhin wird außerdem von einem Einzeltäter gesprochen, obwohl eindeutig sei, „dass Rassismus institutionell und strukturell in der Mitte der Gesellschaften vorhanden sei und von dort auch bekämpft werden müsse“, so die Tagesschau.

Die Angehörigen fühlen sich von der Politik ignoriert und kritisieren die langsame Arbeit der Behörden. Kurtović bedauert, dass die einzelnen Institutionen immer zu einer anderen Ermittlungsinstanz verweisen: „Ich habe Vertrauen in den Rechtsstaat und die Ermittlungsbehörden, aber dieses Vertrauen wird immer wieder auf die Probe gestellt. Dabei ist es mir aber egal ob mir meine Frage die Polizei, der Generalbundesanwalt oder der Innenminister beantwortet.“ Besonders stark wird verurteilt, dass der Täter Tobias R. seit 2013 einen Waffenschein besaß, obwohl er stark psychisch auffällig war. Serpil Temiz-Unvar, die Mutter von Ferhat Unvar, der bei dem Attentat ermordet wurde, macht es deutlich: „Der Täter hat sehr viel trainiert, um am Ende unsere Kinder professionell zu töten.“ Die Familien der Opfer werfen nun dem 73-jährigen Vater von Tobias R. Beihilfe zum Mord vor und beschreiben ihn als eine „tickende Zeitbombe“. Er hat sich nach der Tat, bei der auch seine Ehefrau von ihrem Sohn getötet wurde, einen Schäferhund gekauft und beschimpft eine Nachbars-Familie, die ein Schwarzes Pflegekind bei sich aufgenommen hat. Er bezeichnet die Opfer als „Täter“ und versichert auch, dass sein Sohn den Anschlag nicht begangen hätte, sondern ein Geheimdienst.

Die Hinterbliebenen der Ermordeten wollen dieses Mal nicht auf die langsame Arbeit der Behörden hoffen, sondern haben selber eine 16-Seiten lange Strafanzeige gegen den Vater gestellt. Dabei wird Hans-Gerd R. vorgeworfen von der Planung der Tat gewusst und ihn darin unterstützt zu haben. Es gab ein „Dominanzverhältnis“ zwischen den beiden, so die Süddeutsche Zeitung, bei welchem „der Sohn Tobias von seinem Vater abhängig war.“ Dieser Vorwurf kann durch viele Quellen bestätigt werden, so auch durch die Aussage eines Mitarbeiters im Jobcenter in Hanau, der erklärt: „Was der Vater gesagt hat, war Gesetz.“ Der 30-jährige Sohn ließ sich in allen Gerichtsverfahren von Hans-Gerd R. vertreten, insgesamt in mehr als 250. Auch ein ehemaliger Psychiater von Tobias R. bestätigt das starke Abhängigkeitsverhältnis zwischen Vater und Sohn und schreibt in einem Bericht von einer „Folie a deux“. Dabei handelt es sich um eine induzierte wahnhafte Störung, bei welcher eine psychotische Beeinträchtigung zusammen ausgelebt wird. Der Psychiater schrieb in der Einschätzung im Jahr 2002: „Gegen den Vater wird für den Sohn nichts zu unternehmen sein.“ Tobias R. und Hans-Gerd R. teilten ihr rassistisches und rechtsextremes Weltbild.

Die behördliche Aufarbeitung und die Unterstützung der Hinterbliebenen lassen sehr stark zu wünschen übrig. Der Prozess gegen den Vater des Täters wird hoffentlich weitere Versäumnisse der Ermittlungen aufklären und eine weitere Person belangen, die Beihilfe zu dem Attentat geleistet hat. Am Freitag wird es eine Gedenkfeier im Congress Park in Hanau geben, bei welcher an die Opfer gedacht wird. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Volker Bouffier, der Ministerpräsident Hessens werden dabei anwesend sein.