Der Wirecard-Skandal wird immer skurriler

Die Hinweise auf unsachgemäße Geldströme der Wirecard AG werden immer skurriler. Neben dubiosen Geldgeschäften wird nun auch nach versteckten Identitäten des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Markus Braun ermittelt.

Der ehemalige Chef das DAX-Konzerns, Markus Braun, wurde in Österreich geboren. Doch Ländergrenzen spielen für den Weltbürger aus Leidenschaft keine Rolle. „Der Pass spielt für mich keine Rolle, ich bin Europäer, Weltbürger“, teilte er gegenüber der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) im Februar in der Konzernzentrale mit. Mitte Juni wurde Braun dann gefeuert, woraufhin das Unternehmen eine Woche später zusammenbrach. Der ehemalige DAX-Konzern Wirecard wird abgewickelt, der ehemalige Chef sitzt in Untersuchungshaft.

Die Staatsanwaltschaft sieht in Braun den Kopf einer organisierten Bande. Er ist die „Kontroll- und Steuerungsinstanz“. Der Vorwurf unter anderem: „gewerbsmäßige[r] Betrug“. Die Ermittler überprüfen dabei auch, ob die Aussage Brauns, ein einzelner Pass bedeute ihm nichts, wahr sein könnte. Der Verdacht besteht, dass Braun sich mehrere Pässe besorgt haben soll und so falsche Identitäten beschafft hat. In Bezug auf seine Rolle im Wirecard-Skandal zeige dies, dass er doch nicht so frei von Schuld ist wie er vorgibt. Mit gefälschten Pässen und Identitäten könnte er vorgesorgt haben für den Fall, dass der Schwindel doch eines Tages auffliegen könnte. Sein Vorstandskollege, Jan Marsalek, wird mit einem internationalen Haftbefehl gesucht. Jedoch fehlt seit Ende Juni jede Spur von ihm. Mal wird er in Russland vermutet, dann in der Türkei und dann wieder in Weißrussland.

Der Ursprung des Wirecard-Skandals begann mit der Insolvenz des DAX-Unternehmens. Dadurch kam der größte Finanzskandal in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik ans Licht. Neben den Ermittlungen gegen die Vorstandsmitglieder des Finanzdienstleisters gerieten auch die Prüfer der BaFin ins Visier der Ermittler, denn der Finanzskandal endete lange nicht mit der Aufdeckung unrechtmäßiger Geldströme und dubioser Drittpartnergeschäfte. Die Frage, wie Wirecard jahrelang die Bilanzen vor den Augen der Finanzaufsicht verschleiern konnte, offenbarte erst die Reichweite des Wirecard-Skandals. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass britische Medien bereits seit mehreren Jahren über die finanziellen Ungereimtheiten berichtet hatten, rückte die deutsche Finanzpolitik in den Fokus der Kritiker.

Die Wirecard AG hatte vier Vorstände, bevor das Unternehmen Ende Juni zusammenbrach und Insolvenz anmelden musste. Die Begründung: Laut Aussagen des Unternehmens drohen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung. Seitdem bestimmt Insolvenzverwalter Michael Jaffé im Landgericht München das weitere Verfahren. Der Gründer und ehemaliger CEO, Markus Braun, ist eine Schlüsselfigur im Bilanzskandal und wurde zunächst in Untersuchungshaft genommen und muss sich nun vor Gericht verantworten. Aber auch Jan Marsalek, der vor allem für die operativen Geschäfte des Unternehmens tätig war, wird international gesucht. Neben Braun und Marsalek vermutet der ermittelnde Staatsanwalt seit Juli, dass auch Finanzchef Alexander von Knoop und Produktvorständin Susanne Steidl in die Wirecard-Affäre involviert waren. Der Vorwurf lautet Bilanzfälschung, Marktmanipulation und Betrug. Laut „Handelsblatt“ ermitteln die Beamten nun auch wegen mutmaßlicher Untreue. Der Staatsanwalt hat sich bisher noch nicht zum Stand der Ermittlung geäußert. Solange jedoch keine konkreten Beweise vorliegen, gehen die Vorstandsmitglieder ihrer Arbeit wie gewohnt nach. Zu den Vorwürfen geäußert haben sie sich bislang nicht.

Zusätzlich zu möglichen Betrugsfällen im Vorstand kam nun heraus, dass einige BaFin-Beschäftigte in den Monaten vor der Insolvenz verstärkt mit Aktien des Zahlungsabwicklers gehandelt haben sollen. Zu diesem Schluss kam das Bundesfinanzministerium und legte die Zahlen „Capital“ vor. Demnach machten die Geschäfte mit den Wertpapieren von Wirecard in der ersten Jahreshälfte 2,4 Prozent aller Geschäfte der BaFin-Mitarbeiter mit Aktien und Aktienderivaten aus. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Anteil deutlich gestiegen. 2019 betrug der Anteil der Geschäfte mit Wirecard-Aktien nach Angaben des Bundesfinanzministerium nur 1,7 Prozent. Damit gerieten seit der Insolvenz vor allem die BaFin und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) ins Kreuzfeuer der Kritik.

Die Zunahme des Handels mit Wirecard-Wertpapieren begründete das Ministerium mit den vermehrten Schwankungen des Aktienkurses ausgelöst durch die kritische Berichterstattung und den Ad-hoc-Meldungen des Unternehmens. Im Vergleich zum Handel mit Aktien anderer DAX-Konzerne seien diese „nicht ungewöhnlich beziehungsweise nicht auffällig“, so das Bundesfinanzministerium. Weiterhin hatten 2019 und in der ersten Jahreshälfte 2020 rund 20 Prozent der BaFin-Mitarbeiter private Finanzgeschäfte angezeigt. Diese seien alle von den Vorgesetzten genehmigt worden, sodass bestätigt wurde, dass zu den privaten Finanzgeschäften keine Kenntnisse über Insiderinformationen vorlagen. In Bezug auf Geschäfte in Aktienderivate des Finanzkonzerns seien 58 Prozent Käufe und 42 Prozent Veräußerungen gewesen. Inwieweit BaFin-Beschäftigte durch Leerverkäufe auf Kursverluste gewettet haben, kann nicht festgestellt werden, da keine Informationen dazu vorlägen. Ein weiterer skandalöser Bestandteil eines Wirtschafts-Krimis, den die lasche Haltung der BaFin und anderer Kontrollorgane erst möglich gemacht haben.