Die Brexit-Verhandlungen gehen in die letzte Runde

Am Montag, den 28. September 2020 hat die neunte Verhandlungsrunde zwischen Brüssel und London begonnen. Bis Ende der Woche sollen sich alle Beteiligten einig werden und ein Abkommen für einen geordneten Brexit beschließen. Bislang stand dem die Fischerei und ein britisches Binnenmarktgesetz im Weg. Wird es diesmal anders sein?

In drei Monaten endet die Übergangszeit und der Brexit wird offiziell vollzogen. Unter großem Zeitdruck versuchen die Europäische Union und die britische Regierung seit Anfang der Woche im neunten Versuch einen Handlungspakt zu finden, der zu Gunsten aller ausfällt. Trotz der acht gescheiterten Verhandlungen sehen beide Parteien noch die Chance einen geordneten Austritt zu vollziehen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußert sich vorsichtig optimistisch bezüglich einer möglichen Einigung. Bei einem Besuch in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon sagte von der Leyen, dass sie weiterhin davon überzeugt sei, dass ein Abkommen möglich ist. Beide Seiten leiden bereits unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie. Deshalb ist das Zustandekommen eines vernünftigen Abkommens umso wichtiger.

Zuletzt hatte die Entscheidung des britischen Premierministers Boris Johnson, bestimmte Punkte des Brexit-Vertrags mit seinem Binnenmarktgesetz auszuhebeln, für große Verärgerung der EU gesorgt. Wenn London vom Abkommen abweicht, ist das „ein klarer Vertragsbruch, der unser Vertrauen in London zerstört. Wir müssen dann die Verhandlungen über die künftigen Beziehungen stoppen, bis die britische Regierung zur Vertragstreue zurückkehrt“, teilte der Vorsitzende des Handelsausschusses im Europäischen Parlament, Bernd Lange, gegenüber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) mit. Es geht bei den Verhandlungen schon längst nicht mehr nur um ein wirtschaftliches Abkommen, sondern vielmehr um einen Freundschaftsvertrag für die Zeit nach der faktischen Scheidung im Januar 2021. Die EU hat die britische Regierung aufgefordert, das umstrittene Gesetz zurückzunehmen. Die Frist lief Ende September ab. Zudem sei es Aufgabe Großbritanniens das gebrochen Vertrauen nun wiederherzustellen. Das britische Unterhaus stimmt nun über den Entwurf ab. Nötig ist auch die Zustimmung des Oberhauses.

Zu der vorerst letzten vereinbarten Verhandlung wird das Team des britischen Chef-Unterhändlers David Frost bei den EU-Kollegen um Unterhändler Michel Barnier in Brüssel erwartet. Barnier sei bereit diese Woche an einem gemeinsamen Entwurf für ein Abkommen zu arbeiten, einem „konsolidierten Rechtstext“, schrieb die britische Zeitung „The Times“. Außerdem habe die Europäische Union ihre Drohung, Handels- und Sicherheitsgespräche auszusetzen, wieder zurückgezogen. Wenig verwunderlich, da die Zeit drängt und eine wirtschaftliche Übereinkunft für alle Beteiligten von Vorteil wäre.

Besonders umstritten waren zuletzt die Punkte Fischerei sowie die staatlichen Regeln und Subventionen für britische Unternehmen. Johnson hat eine neue Frist bis 15. Oktober 2020 gesetzt und die EU bis Ende Oktober, um noch etwas Zeit zur Ratifikation zu haben. Die Voraussetzungen seien dieses Mal jedoch besser als in der vergangenen Verhandlung. Nach einer zuletzt sehr eisigen Stimmung sei die Atmosphäre nun etwas besser gewesen, auch wenn die Positionen beider Delegationen immer noch weit voneinander entfernt sind, wie ein EU-Diplomat am Montag erklärte. Die EU werde alles tun, um einen Deal mit London abzuschließen, so EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic. London hat das gleiche Ziel. Sie wollen „eine ausgehandelte Vereinbarung und wir arbeiten auf dieses Ziel hin“, teilte der britische Staatsminister Michael Gove mit. Dementsprechend fallen erste Einschätzungen aus. „Offenbar haben die Briten ihre Verhandlungstaktik etwas verändert, sodass sie nun bereit erscheinen, in bestimmte kontroverse Themen einzusteigen“, sagte Lange.

Damit wird vor allem auf das von Boris Johnson initiierte Binnenmarktgesetz angespielt. Ursprünglich hieß es, dass Nordirland nach dem Brexit Teil des EU-Binnenmarktes bleiben soll, um eine harte Grenze zwischen Nordirland und der EU angehörigen Republik Irland zu verhindern. Johnson hat diese Sonderregelung zum Verbleib Nordirlands in der Zollunion mit seinem Binnenmarktgesetz ausgehebelt. Aber auch in der neunten Verhandlungsrunde wird Brüssel von dieser Vertragsregelung nicht abweichen, verkündete von der Leyen in ihrer „State of the Union“. Zu groß sei die Gefahr eines Bürgerkrieges und Aufflammen des Nordirland-Konflikts. Klar ist: Ein Handelsabkommen mit der EU wird es nur geben, wenn es zu keiner harten Grenze auf der irischen Insel kommt.

Boris Johnson möchte jedoch keine Diskussionen mit dem EU-Verhandlungsführer führen, sondern „eine politische Lösung – nämliche Gespräche mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, mit Angela Merkel – und nicht mit … Michel Barnier.“ Doch die EU bleibt standhaft. Die entscheidende Verhandlungsrunde läuft diese Woche in Brüssel.