Kreml-Kritiker Nawalny in Berliner Charité: Was bisher bekannt ist

Alexei Anatoljewitsch Nawalny ist ein russischer Rechtsanwalt und wohl der prominenteste Kreml-Kritiker. Er erlangte 2009 große Beliebtheit durch seinen online Blog, auf welchem er sich scharf gegen Russlands Präsidenten Vladimir Putin äußert. Seit Ende August liegt Nawalny in der Charité in Berlin, da er „auf einem Flug von Sibirien nach Moskau zusammengebrochen“ ist, so der SPIEGEL. Seitdem befindet er sich in einem kritischen Zustand. Seine Familie, Freunde und Mitarbeiter*innen sind der Überzeugung, dass er vergiftet wurde. Einige russische Ärzt*innen, die ihn vorher behandelt haben, halten dagegen und beteuern, dass sie keine Anzeichen für eine Vergiftung finden konnten. Die russische Staatsanwaltschaft erklärte außerdem, „es gebe keine Hinweise auf eine Straftat“, so der Deutschlandfunk. Ob das der Wahrheit entspricht untersuchen derzeit deutsche Ärzt*innen der Berliner Charité.

Um der Frage, ob Nawalny wirklich vergiftet wurde oder nicht, ausreichend auf den Grund gehen zu können, wurden jetzt Bundeswehr-Expert*innen zu Rate gezogen. Laut dem SPIEGEL gehört zu der Truppe „ein Labor für Pharma- und Toxikologie“. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht den Zustand des russischen Oppositionellen als äußerst kritisch an und lässt sich jeden Tag über seine Verfassung informieren. Vor Nawalnys Flug nach Moskau beteiligte er sich an einer Veranstaltung in der russischen Universitätsstadt Tomsk. In der sibirischen Stadt wurde bereits sein Hotelzimmer von der örtlichen Polizei untersucht, die „keine stark wirkenden Mittel oder Drogen gefunden“ haben. Außerdem haben sie „mehr als hundert Gegenstände von möglichem Beweiswert“ aus dem Hotel an sich genommen. Auch die Plätze, die Nawalny vorher besucht hat wurden von der russischen Polizei untersucht und alle Aufnahmen von Überwachungskameras analysiert.

In Deutschland angekommen, versetzten die deutschen Ärzt*innen den 44-Jährigen in ein künstliches Koma und konnten bei verschiedenen Untersuchungen einige Hinweise auf eine Vergiftung feststellen. Zunächst war noch unklar um was für ein Gift es sich handelt, doch mittlerweile erklärten die Ärzt*innen der Charité, dass vermutlich eine „Substanz aus der Wirkstoffgruppe Cholinesterase-Hemmer“ verwendet wurde. Leonid Walkow, ein Freund von Nawalny, sieht wenig Hoffnung auf eine Verbesserung seines derzeitigen Zustands. Heiko Maas, deutscher Bundesaußenminister, sieht die wenigen Aufklärungsarbeiten der russischen Behörden als sehr kritisch: „Wir erwarten, dass Russland sich an der Aufklärung beteiligt. Im Moment scheint das nicht der Fall zu sein“, sagte er dem ZDF. Der britische Premierminister Boris Johnson geht ebenfalls von einer Vergiftung aus und fordert: „Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen werden“. Präsident Putin hat sich selber zu dem Fall noch nicht geäußert. Dmitri Peskow, ein Kremlsprecher, reagierte aufgebracht, als die russische Regierung mit dem Vorfall in Verbindung gebracht wurde: „Wir können uns nicht ernsthaft zu den von Ihnen erhobenen Anschuldigungen verhalten. Diese Vorwürfe können in keiner Weise wahr sein“.

Auf Nawalny gab es schon mehrere versuchte Anschläge. Wie n-tv beschreibt, hat der Familienvater viele Gegner: „Im Machtapparat, unter den Oligarchen, die mit dem Kreml in Verbindung stehen – und zuletzt sogar in Belarus, wo er die Proteste gegen Alexander Lukaschenko unterstützte“, schreibt der Nachrichtensender. Nawalny ist nicht der erste Putin-Kritiker, der unter unaufgeklärten Umständen erkrankt. 2018 überlebten Sergej Skripal, ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter, und seine Tochter nur haarscharf einen Nervengift-Anschlag. 2006 verstarb Alexander Litwinenko, ein weiterer Oppositioneller, nachdem er einen vergifteten Tee getrunken hatte. Ebenfalls 2006 wurde die amerikanisch-russische Journalistin Anna Politkowskaja im Aufzug ihres Wohnhauses erschossen. Das sind nur drei der unzähligen Menschen, die durch unaufgeklärte Faktoren ermordet wurden, nur weil sie sich kritisch gegenüber ihrer Regierung äußerten. Sie alle waren und sind dazu in der Lage „Massen zu mobilisieren und gegen Putin auf die Straße zu bringen“, wie es n-tv formuliert.

Um den Fall Nawalny restlos aufklären zu können benötigt es die Zusammenarbeit von russischen Behörden und deutschen Ärzt*innen der Charité und der Bundeswehr. Da unklar ist, ob die russische Regierung etwas mit der möglichen Vergiftung zu tun hat, bleibt offen, ob die Behörden miteinander kooperieren. Außerdem bleibt zu hoffen, dass entgegen jeglicher Erwartungen Nawalny seinen Krankenhausaufenthalt überlebt und weiter die Opposition in Russland anführt.