Ausbildungsmangel durch Corona verschärft

Auch im zweiten Corona-Jahr ist das Angebot an Lehrstellen deutlich zurückgegangen. Doch auch mit reduziertem Ausbildungsangebot bleiben viele Plätze weiterhin unbesetzt. Für viele Betriebe gilt die Ausbildung als wichtiger Baustein zur Sicherung des Unternehmens. Und ohne Ausbildungsanfänger fehlen in drei Jahren die Fachkräfte in der Gesellschaft.

Der Ausbildungsmarkt vermerkt auch im zweiten Corona-Jahr deutliche Einbußen. Die Unternehmen bieten auch in diesem Jahr erneut 15.000 Lehrstellen weniger an als 2020. Damit stehen dieses Jahr insgesamt nur noch 451.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Zum Vergleich: 2019 waren es noch 512.000. Diese Erkenntnisse zeigt der aktuelle Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA). Für die beiden Ausbildungsjahre 2019/20 und 2020/21 „ergibt sich damit ein kumulierter Rückgang von acht Prozent“, sagte BA-Chef Detlef Scheele bei der Vorstellung des Arbeitsmarktberichts für Mai.

„Vor Corona bekamen wir pro Ausbildungsplatz 250 Bewerbungen. Jetzt sind es nur noch fünf bis zehn pro ausgeschriebene Stelle. Das ist schon eine Hausnummer“, berichtete Ausbilderin und Geschäftsführerin vom Reisebüro Kopp, eines der größten inhabergeführten Reisebüros im Rhein-Main-Gebiet, Isabella Rau. Durch die deutlich niedrigere Zahl an Bewerbungen sei es bisher auch nur zu einer einzigen Einstellung gekommen. Vier der fünf ausgeschriebenen Ausbildungsplätze für den Sommer seien noch unbesetzt. Laut der hiesigen Industrie- und Handelskammer wurden im Jahr 2020 deutlich weniger Ausbildungsverträge abgeschlossen. Im Handwerk sank die Zahl um 30 Prozent und in Industrie und Handel um rund acht Prozent. Gemeinsam verzeichnen die Kammern aktuell mehr als 3000 freie Lehrstellen.

Der Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), zeigte sich besorgt über die Entwicklung. Die Qualität der Ausbilder und Auszubildenden hierzulande gehöre zu „entscheidenden Stützpfeilern“ der deutschen Wirtschaft. „Umso wichtiger ist es, diese Basis auch in Zeiten der Pandemie zu erhalten“, sagte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium dem Handelsblatt. Laut Scheele sei deshalb generell mit Blick auf den drohenden Fachkräftemangel „eine Qualifizierungsinitiative dringend nötig“. Er habe jedoch „den Eindruck, dass die Bereitschaft der Unternehmen, die unversorgten Bewerber aus dem Jahr 2020 aufzunehmen, nicht besonders groß ist“.

Als Grund für den dramatischen Rückgang sehen Experten die Unsicherheit vieler Schulabgänger, ob die Branchen noch zukunftssicher sind. Aus Sicht der Geschäftsführer sei diese Sorge unberechtigt, da sowohl die Tourismusbranche als auch das Gastgewerbe bisher immer krisensichere Branchen waren und die Nachfrage auch jetzt bereits wieder groß sei: „Die Buchungsbereitschaft ist seit diesem Monat extrem hoch, alle wollen verreisen“, sagt Rau. Auch wüssten durch die pandemiebedingten Schließungen des Gastgewerbes und durch die Beschränkungen des Tourismus viele gar nicht, dass die Betriebe trotzdem weiter ausbilden: „Das ist wahnsinnig schade, gerade im Moment würde ein Auszubildender enorm viel lernen.“ Der Ausfall von Praktika, Ausbildungsmessen und der Betriebsvorstellungen in Schulen seien weitere Hürden für Schulabgänger, sich über Branchen und ihre Zukunftsfähigkeit zu informieren: „Wegen Corona ist das alles weggefallen“, sagt Rau. Auch Scheele bestätigte, dass der Grund für die fehlenden Auszubildenden nicht in der Demografie liege. Von den Schulen kämen dieses Jahr sogar zwei Prozent mehr Abgänger. Wegen Corona sei aber der Kontakt zu den Betrieben massiv behindert, auch sei die Berufsorientierung in den Schulen ausgefallen. „Das kann durch digitale Alternativen nicht vollständig ersetzt werden“, sagte der BA-Chef.

Nichtsdestotrotz sind die Zahlen besorgniserregend. Viele Jugendliche seien zwar grundsätzlich an einer Lehre interessiert, entscheiden sich aufgrund der fehlenden Informationen und Verunsicherung entweder für einen weiteren Schulbesuch oder für ein Studium. Das sei zwar „per se nicht schlecht“, doch zugleich seien sie damit aber „womöglich für die duale Ausbildung verloren“, so der BA-Chef.

Bareiß hofft, „dass die Zahl der Ausbildungsplätze in den nächsten Tagen nochmals erhöht werden kann“ und „dass sich in den nächsten zwei Monaten noch etwas tun wird.“ Um die Ausbildungsbereitschaft zu steigern, hatte die Bundesregierung zuletzt auch die im ersten Corona-Jahr eingeführten Ausbildungsprämien verdoppelt: Pro neu eingestelltem Azubi erhält das Unternehmen 6.000 Euro. Problematisch ist, dass die Prämien noch relativ unbekannt sind.