Zwar soll Habecks Maßnahmenpaket verhindern, dass Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas steigt, doch mit den gedrosselten russischen Gaslieferungen rückt die höchste Stufe im „Notfallplan Gas“ immer näher. Dabei stellt sich vor allem für Unternehmen die Frage, wer noch Gas bekäme.
Spitzt sich der Gasmangel weiter zu, könnte die Bundesregierung in der Notfallstufe des „Notfallplan Gas“ umfangreiche Verordnungen zur Verteilung der Gaslieferungen veranlassen. Das heißt, die Bundesnetzagentur würde konkret als „Bundeslastverteiler“ eingesetzt werden und das Gas in Deutschland zuweisen. Vorrangig sollen Privathaushalte, Einrichtungen und Gaskraftwerke beliefert werden. Wie genau die Priorität bei Unternehmen aussehen wird, ist noch unklar.
So priorisiert die Bundesnetzagentur
Um festzulegen, wie das Gas im Notfall verteilt werden soll, fertigt die Bundesnetzagentur bis Oktober eine Studie und eine Kommunikationsplattform an. Diese Studie soll die Auswirkungen eines Gasmangels auf einer Wertschöpfungskette aufzeigen. So soll bewertet werden, wie sich Gasreduktionen auf die „Versorgung der Bevölkerung mit kritischen Gütern und Dienstleistungen auswirken könnte“, erklärt die Bundesnetzagentur.
Hinzu soll die sogenannte Sicherheitsplattform Gas kommen. Dieses Datenportal diene dem Austausch mit großen Gasverbrauchern in der Industrie. Hier werden alle relevanten Informationen von Gasverbrauchern und Netzbetreibern zusammengeführt, analysiert und bewertet.
Anhand dieser Daten soll die Gaszuteilung unter diesen Kriterien priorisiert werden:
- Dringlichkeit, abhängig von der Ausprägung der Gasmangelsituation
- Größe der Anlage
- Erwartbare Wirtschafts- und Umweltschäden
- Kosten und Dauer der Wiederinbetriebnahme
- Vorlaufzeiten für das Herunterfahren von Produktionsanlagen
- Anteil des lebenswichtigen Bedarfs an Gas
Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), schätzt die Datenaufarbeitung der Bundesnetzagentur als nötig und sinnvoll ein: „Da muss es dann immer um Systemrelevanz gehen. Das heißt für die Gesellschaft wichtige Produkte, wie Lebensmittel, Pharmaprodukte und was zum Leben wichtig ist. Luxus- und Sportartikel oder der Tourismus, das sind Dinge, die dann auch mal warten können.“
Zweifel der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)
Dass die Vulnerabilitätsstudie „ein flächendeckendes Arbeiten der Bundesnetzagentur ermöglicht, daran habe ich erhebliche Zweifel“, betont der Energiebeauftragte beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, Sebastian Bolay. Dabei sei das zentrale Problem, dass keiner die kompletten Lieferketten nachvollziehen könne. Vor diesem Hintergrund lasse sich gar nicht beantworten, welche Unternehmen systemrelevant wären. Laut Bolay bestehe so immer die Gefahr, ein systemrelevantes Unternehmen zu vergessen. Eine Priorisierungsliste für Unternehmen sei nicht möglich, da viele Betriebe sowohl systemrelevante als auch nicht-systemrelevante Produkte anbieten. Eine moralische Entscheidung, welche Produktionsbereiche dann weiterlaufen, liege dann beim Unternehmen.
Gas-Lieferketten bei BASF
Die BASF stellt einen der größten Gasverbraucher in Deutschland dar. Konzernchef Martin Brudermüller beneidet die Bundesnetzagentur nicht um ihre Rolle: „Eine sehr undankbare Aufgabe. Bei 45.000 Verkaufsprodukten allein einer BASF können sie das nicht bis ins jede Detail aufdröseln.“
Knapp vier Prozent des gesamtdeutschen Gasverbrauchs sollen auf das Konto des Chemieriesen gehen. An den Produkten der BASF hängen viele mittelständische Unternehmen, sogar ganze Branchen.
Der Chemiekonzern prüft ob es Einsparpotenziale beim Gasverbrauch. Brudermüller zufolge könnte der Konzern vor allem in der Ammoniakproduktion die Kapazitäten herunterfahren und sich extern beliefern lassen. Zusätzlich wäre es möglich, die Stromerzeugung von Erdgas auf Heizöl umzustellen. Das kann allerdings nur teilweise passieren. Auf diese Weise möchte BASF und Brudermüller ihren Teil zum Gas-Sparplan der EU beitragen. Die Mehrkosten der hohen Energiepreise werde man an die Kunden weitergeben müssen, erklärt der Vorstandsvorsitzende.
Sinken die Gaslieferungen an die BASF noch unter 50 Prozent der üblichen Menge, muss der Konzern seine Produktion herunterfahren. Das heißt, der Dominoeffekt, der über die Lieferketten ausgelöst würde, ist nur schwer abzusehen.
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