EU und London einigten sich endlich auf Brexit-Deal

Nach neun gescheiterten Verhandlungsrunden konnten sich Brüssel und London nun doch knapp eine Woche vor Ablauf der Übergangsphase auf eine Lösung im Brexit-Streit einigen. Auf beiden Seiten bleibt aber nur wenig Zeit zur Prüfung der Vertragsdetails. Der Brexit wird in wenigen Tagen endgültig vollzogen.

1250 – so viele Seiten umfasst der mühsam verhandelte Austrittsvertrag von Großbritannien aus der Europäischen Union. Weniger als eine Woche vor dem Ablauf der Brexit-Übergangsphase haben London und Brüssel den Handelsvertrag für die Zeit nach dem Austritt veröffentlicht. Der Vertrag gibt Aufschluss auf Fragen zum Handel, der Zusammenarbeit von Polizei und Justiz und dem Krankenversicherungsschutz Reisender bei Notfällen.

Der entscheidende Durchbruch kam Heiligabend. London und Brüssel konnten sich in den Gesprächen nun doch noch auf einen Handelspakt einigen und so einen ungeordneten Brexit verhindern. Mit Beginn des neuen Kalenderjahres verlässt das Vereinigte Königreich die EU nach 40 Jahren Mitgliedschaft. Ein No-Deal-Brexit hätte fatale Konsequenzen sowohl für die Briten als auch für den Rest von Europa.

Via Twitter verkündete der britische Premierminister Boris Johnson in einer Videobotschaft, wer in diesem „schläfrigen Moment nach dem Weihnachtsmahl“ etwas lesen möchte, kann sich gerne den Handelspakt als Weihnachtslektüre durchlesen. Laut dem Premier werde es keine non-tarifären Handelshemmnisse geben. In den kommenden Tagen müssen sich Unternehmen beider Seiten nun genau darauf vorbereiten. Damit gemeint sind zum Beispiel unterschiedliche Standards bei der Produktsicherheit und der Lebensmittelsicherheit. Bislang sind die Regelungen auf beiden Seiten gleich, doch werden britische Unternehmen zukünftig weiterhin die Einhaltung europäischer Standards nachweisen müssen. Frankreich gab bereits bekannt, ab dem Jahreswechsel auf gründliche Kontrollen zu bestehen. „Wir müssen britische Produkte kontrollieren, die zu uns kommen“, teilte Europastaatssekretär Clément Beaune am Freitag dem Sender Europe 1 mit. Bei Nahrungsmitteln und Industrieprodukten müssen alle Normen eingehalten werden. Frankreich hat dazu etwa 1300 Menschen angeworben, die die Kontrollen durchführen sollen.

Frankreich gilt als wichtiger Dreh- und Angelpunkt für den britischen Handel. Rund 70 Prozent des Handelsvolumens zwischen Großbritannien und der EU laufen über die nordfranzösischen Häfen Calais und Dünkirchen sowie über den Eurotunnel. Wenn der Verkehr über diese Punkte nicht mehr ungehindert funktioniert, ist spätestens seit dem vierten Adventswochenende in der englische Region Kent deutlich geworden. Mit der Schließung der französischen Grenze aufgrund einer möglichen Mutation des Coronavirus mussten die Fahrer über Tage hinweg in ihren Lastwagen verbleiben.

Neben der Polizei und der Krankenversicherung mussten in dem Handelspakt auch neue Zollformalitäten festgehalten werden. Ab Januar 2021 müssen diese eingehalten werden, erklärte der Germany Trade and Invest (GTAI). Da Großbritannien den europäischen Binnenmarkt und die Zollunion verlässt, trete faktisch eine neue Zollgrenze in Kraft, so Stefanie Eich, Zoll-Expertin beim GTAI. „Die Ursprungsregeln für einzelne Waren werden im Abkommen festgelegt. Deren Einhaltung muss dementsprechend nachgewiesen werden“, so Eich.

Für die EU bedeutet ein Deal mit Großbritannien endlich ein Schlussstrich unter dem Brexit-Kapitel. „Unsere Zukunft liegt in Europa“, sagte EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen. Via Twitter erklärte sie, dass das Abkommen mit dem Vereinigten Königreich fair und ausgewogen sei. „Dieses Abkommen wird Geschichte schreiben“, so die Kommissionspräsidentin während einer Pressekonferenz. Für Großbritannien hat der Kampf gegen das Coronavirus oberste Priorität. Deshalb habe Johnson mit der Zustimmung zum Handelsabkommen weitere Unsicherheiten im Land vermeiden wollen. „Dieser Deal bedeutet neue Stabilität“, sagte Johnson und fügte hinzu: „Wir werdend der Freund und Verbündete und Unterstützer der EU sein.“ Johnson gab bekannt, dass das britische Parlament am 30. Dezember über das Abkommen mit der EU abstimmen werde. Der Vertrag beinhalte laut Johnson nicht all die Forderungen, die Großbritannien gestellt hatte, aber seine Regierung habe dazu beigetrage, dass eine Vereinbarung zustande kommt. „Kompromiss ist kein schmutziges Wort.“ Ein Vertreter der französischen Regierung hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass Großbritannien besonders im letzten Streitpunkt, der Fischereirechten, „enorme Zugeständnisse“ gemacht. Das Abkommen wird die „EU-Interessen schützen, einen fairen Wettbewerb sicherstellen und unseren Fischereigemeinden Planungssicherheit geben“, gab von der Leyen via Twitter bekannt.