Großbritannien verschärft Reisebeschränkungen

Premier Boris Johnson hatte zuletzt Portugal auf die „gelbe Liste“ gesetzt, um das Einschleppen einer neuen Virusvariante nach Großbritannien zu verhindern. Derzeit dominiert die Delta-Variante das britische Infektionsgeschehen. Kritik kam sowohl von der portugiesischen Regierung als auch aus dem eigenen Land.

Die britische Regierung kündigte an, dass Portugal ab kommenden Dienstag auf die „gelbe Liste“ gesetzt wird. Für viele überraschend, da Portugal bis dato das einzige klassische Reiseland Europas war, das die Briten seit Mitte Mai besuchen durften. Mehr als 10.000 Britinnen und Briten haben in den vergangenen zwei Wochen Urlaub auf der europäischen Insel gemzacht und andere planten ihren Sommer dort zu verbringen – doch nun nicht mehr. Wer nach Dienstag erst wieder nach Großbritannien einreist, muss eine zehntätige Quarantänezeit auf sich nehmen und auf eigene Kosten Testpakete kaufen. „Gelbe Länder“ sollen laut Regierung nur unter „extremen Umständen“ bereist werden.

Grund dafür sind die drastisch ansteigenden Infektionszahlen in Großbritannien. Die britischen Behörden registrierten den höchsten Stand an Neuinfektionen seit März 2021. Binnen 24 Stunden wurden 6238 Neuinfektionen gemeldet und damit ein deutliches Plus in Relation zum Vortag, als die Zahl noch bei 5274 lag. In Anbetracht des viel gefeierten „Impferfolgs“ sorgten die Zahlen für Aufsehen. Mehr als drei Viertel der britischen Bevölkerung haben bereits mindestens eine Impfdosis erhalten. Die Reisenden profitieren nicht von der erfolgreichen Impfkampagne. Im Gegenteil, im Sommer 2020 war das Reisen noch deutlich weniger beschwerlich.

Auslöser ist die Delta-Mutante, die zuerst in Indien festgestellt wurde, und nun in Großbritannien das Infektionsgeschehen dominiert. Sie ist nach Schätzungen etwa für zwei Drittel aller Infektionen verantwortlich. Wie aus neuen Zahlen der Organisation Public Health England (PHE) hervorgeht, hätten Patienten, die mit der indischen Mutante infiziert sind, ein deutlich höheres Risiko eines schweren Verlaufs und intensivmedizinischer Behandlung. Ärzte und Epidemiologen warnen vor ansteigenden Krankenhauseinweisungen und einer Überschreitung der Kapazitäten auf den Intensivstationen. Erste Stimmen warnen bereits davor, die von der Regierung am 21. Juni geplante Aufhebung der Corona-Beschränkungen zu verschieben. Doch der britische Premierminister hält bislang weiter an seinen Plänen für „unseren Tag der Freiheit“ fest.

Neben Portugal steht auch Deutschland auf der „gelben Liste“. Doch die jüngste Einstufung von Portugal sorgte sowohl seitens Portugals als auch in Großbritannien selbst für Unmut und Kritik. Neben Betroffenen und Tourismusunternehmen zeigte sich vor allem auch die portugiesische Regierung empört und warf London „Gesundheitsfundamentalismus“ vor. Die Lage rechtfertige die strengen Maßnahmen nicht, hieß es. Doch die Regierung von Premier Boris Johnson stuft die Lage als riskanter ein. Mehrere Minister begründeten den Schritt am Freitag mit der jüngsten Verdopplung des Inzidenzwerts in Portugal auf 66 und der Gefahr einer neuen Variante, die Reiserückkehrer eingeschleppt hätten – die Delta-Mutante. Über diese wisse man zwar noch wenig, aber sie gebiete Vorsicht, hieß es.

Mit der neuen Einstufung will Johnson seinen Lockerungsplan für den 21. Juni aufrechterhalten. Dann sollen die Kontaktbeschränkungen aufgehoben und Großereignisse endlich wieder erlaubt werden. Bislang zeigte sich die britische Regierung „vorsichtig optimistisch“, dass der Zeitplan eingehalten werden kann, aber der Druck aus Wissenschaft und Oppositionsparteien wächst.

In den vergangenen Monaten konnte Großbritannien durch einen radikalen Lockdown und den Erfolg der Impfkampagne die Zahl der Corona-Neuansteckungen auf etwas mehr als 2000 am Tag reduzieren. Inzwischen ist sie binnen einer Woche um 49 Prozent angestiegen. Betroffen seien überwiegend junge, ungeimpfte Personen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen hat sich seitdem leicht erhöht und liegt bei 110 pro Tag. Das entspricht einem Anstieg von 3 Prozent im Vergleich zur vergangenen Woche.

Wissenschaftler warnen vor einer „Verschlechterung der Zahlen“ und einer „neuen Welle im Frühstadium“. Der britische Epidemiologe, Neil Ferguson, warnte am vergangenen Freitag gegenüber BBC vor der hohen Infektiosität des indischen Virusmutation. Sie sei nicht nur 20 bis 30 Prozent ansteckender als die britische Mutante, sondern sogar 60 Prozent. Das SAGE-Gremium, dem Ferguson angehört, sprach sich deshalb am Freitag für eine Verschiebung des nächsten Öffnungsschritts aus. Andere Stimmen aus Wissenschaft, Politik und Medien mahnten jedoch eine „Verhältnismäßigkeit“ der Maßnahmen an.