Großbritannien bereitet sich auf einen No-Deal-Brexit vor

Für ein geordnetes Austrittsabkommen verlangt London eine „fundamentale“ Änderung von der Europäischen Union (EU). Doch die EU bleibt standhaft. Das ist für London „nicht akzeptabel“. Johnson warnt, dass sich beide Seiten nun tatsächlich auf einen harten Brexit vorbereiten müssen.

Anfang Oktober begann die neunte und bislang letzte Verhandlungsrunde zum Austritt von Großbritannien aus der EU. Die vergangenen acht Versuche führten zu keiner Einigung und auch nach dem letzten Versuch, eine Übereinkunft zwischen Brüssel und London zu finden, konnten sich beide Parteien nicht einigen. Grund dafür war mitunter das britische Binnenmarktgesetz, das wichtige Teile des Austrittsvertrages aushebelt. Die EU verlangt, dass London sich an den beschlossenen EU-Austrittsvertrag hält. Zuletzt ging es dabei vor allem um die Grenzen zwischen Irland und Nordirland sowie um die Fischerei. London hingegen sieht in dem Austrittsvertrag eine Möglichkeit für die EU, die legislative Freiheit und die Fischerei Großbritanniens zu kontrollieren, was „vollkommen inakzeptabel“ ist, so der britische Premierminister Boris Johnson. Er erwarte deshalb nach eigenen Worten einen harten Brexit ohne Vertrag mit der Europäischen Union am 1. Januar 2021. Großbritannien möchte ein Freihandelsabkommen wie mit Kanada basierend auf „Freundschaft und freiem Handel“, teilte Johnson vergangenen Freitag mit. Ohne Einigung würde es stattdessen nun zu einer Beziehung wie mit Australien kommen, also ohne Vertrag.

Boris Johnson macht Ernst.

Allerdings lässt er sich die Option offen, doch noch einen Handelspakt mit der EU abzuschließen. Dafür verlangt er allerdings, dass die EU ihre Haltung ändert. In einem im Fernsehen übertragenen Statement gab er bekannt, dass es, solange es keine grundlegende Änderung in der Herangehensweise gibt, die diesem Land die gleichen Bedingungen wie Kanada bietet, zu keiner Einigung kommen wird.

Johnson verlangte, dass eine Einigung bis zum EU-Gipfel am 15. Oktober erzielt wird. Da dies nicht gelang, zog er den Abbruch der Verhandlungen in Betracht. Die EU hatte Johnson trotzdem nochmals intensivierte Verhandlungen für die kommende Wochen angeboten, mit dem Ziel bis Ende Oktober oder Anfang November doch noch eine Einigung zu erzielen. Dafür verlangte der EU-Gipfel jedoch Zugeständnisse von London, worauf die britische Regierung enttäuscht reagierte. Johnson gab in seinem Statement zwar keine konkrete Entscheidung bekannt den Brexit nach Abschluss der Übergangsphase ohne Deal zu vollziehen. Allerdings betonte er, dass sie sich „mit großem Herzen und voller Zuversicht … darauf vorbereiten, die Alternative anzunehmen“ und fügte hinzu: „Wir werden als unabhängige Freihandelsnation erfolgreich florieren, indem wir unsere eigenen Grenzen und unsere Fischerei kontrollieren und unsere eigenen Gesetze festlegen.“

A 31. Dezember 2020 endet die Übergangszeit und Großbritannien ist nicht länger Mitglied des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Ohne geregelten Austrittsvertrag kann es zu einem wirtschaftlichen Bruch kommen, der hohe Zölle und Handelshürden mit sich bringen kann. Die Wirtschaft beider Seiten stünde vor erheblichen Verwerfungen. Einbußen seien bereits jetzt zu spüren. Auch die EU-Kommissionchefin Ursula von der Leyen warnte, dass beide Seiten bereits unter den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie litten. Deshalb wäre das Zustandekommen eines vernünftigen Abkommens umso wichtiger.

Die Verhandlungen seit dem Austritt im Januar dieses Jahrs führten zu wenig zufriedenstellenden Ergebnissen. Hauptdiskussionspunkt waren unter anderem der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern sowie die Forderung der EU nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards. Großbritannien kann im Gegenzug dafür Waren ohne Zoll und Mengenbeschränkungen in den EU-Binnenmarkt einführen.

Wichtig waren zudem Regelungen für den Fall, dass eine Seite gegen das Abkommen verstößt. Dieser Punkt rückte in den vergangenen Wochen besonders in den Vordergrund, weil das britische Binnenmarktgesetz Teile des bereits gültigen EU-Austrittsvertrages ausgehebelt hatte. Auf die Forderung das Gesetz zurückziehen, reagierte die britische Regierung nicht. Die EU hatte daraufhin ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Aus Sicht der Europäischen Union ist das Gesetz ein klarer Verstoß gegen den Austrittsvertrag, insbesondere gegen die festgelegte Verpflichtung von „Treue und Glauben“, teilte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit. Wenn das Gesetz in seiner derzeitigen Form beschlossen werde, stehe es „in vollem Widerspruch zum Protokoll über Irland und Nordirland“, so von der Leyen.

Bislang sieht es nach einem harten Brexit Ende 2020 aus. Die EU verlangt ein Entgegenkommen seitens London und auch Johnson erwartet eine Haltungsänderung seitens der EU, um sich auf weitere Verhandlungen einzulassen. Dennoch setzt sich die EU „weiterhin für eine Einigung ein, aber nicht um jeden Preis. Wie geplant, wird unser Verhandlungsteam nächste Woche nach London reisen, um diese Verhandlungen zu intensivieren“, teilte von der Leyen via Twitter mit.